"Wir erleben Selbstwirksamkeit, wenn wir gehört und verstanden werden."

Ein Mädchen präsentiert vor mehreren Kindern in einer Klassenzimmersituation

Um mit Freude präsentieren zu können, profitieren Kinder von einem lebendigen Wortschatz und Spaß an ihrem Thema. Warum Sprache bereits von klein auf gefördert werden sollte und für Grundschüler*innen ermächtigende Wirkung hat, erzählen Doris Enders und Alena Simon aus dem Jugend präsentiert Kids-Team im Interview.

Hallo ihr beiden, ihr habt im Herbst bei den Grundschultagen ein Webinar mit dem Titel „Mit Worten Bilder malen“ gehalten. Was steckt im Hinblick auf die Präsentationskompetenz von Grundschulkindern hinter diesem Titel?

Alena Simon: Der Titel bringt es eigentlich auf den Punkt: Beim Präsentieren kann Sprache Bilder im Kopf der Zuhörenden entstehen lassen. Wenn Kinder frühzeitig lernen, mit Worten zu „malen“, entwickeln sie die Fähigkeit, Dinge so zu beschreiben, dass andere sie besser verstehen können. Das ist eine zentrale Grundlage von Präsentationskompetenz, denn eine Präsentation lebt nicht nur von Bildern auf Plakaten, sondern auch davon, wie Kinder erklären, beschreiben und erzählen. Uns im Team von Jugend präsentiert Kids ist es wichtig, dass Kinder Sprache als Werkzeug begreifen, um damit verständlich, anschaulich und lebendig zu präsentieren.

Doris Enders: Gleichzeitig haben Bilder wiederum das Potential, ohne Sprache Inhalte vermitteln zu können. Von klein auf erfolgt der Zugang zur Welt meistens stark über das visuelle Erkennen. Kinder mit verschiedenen Sprachen können einer Bildergeschichte folgen, ohne die Worte verstehen zu müssen. Der Titel funktioniert also in beide Richtungen.

Inwiefern unterstützt Jugend präsentiert Kids bei diesem Anliegen, also der frühen Sprachförderung?

Alena Simon: Bei Jugend präsentiert Kids wird Präsentieren als natürlicher Anlass für Sprachförderung verstanden. Hier sprechen Kinder nicht nur „über Sprache“, sondern nutzen sie aktiv, um Wissen zu vermitteln. In unseren Materialien und Fortbildungen zeigen wir Lehrkräften, wie sie diesen Prozess gezielt unterstützen können, beispielsweise durch sprachliche Stützstrukturen, Wortschatzarbeit oder Reflexionsfragen zur Verständlichkeit. Davon profitieren insbesondere Kinder, für die Deutsch eine Zweit- oder Fremdsprache ist. Wenn sie erfahren, dass Sprache ihnen hilft, verstanden zu werden und andere zu begeistern, wird sie nicht zur Hürde, sondern zum Schlüssel für Teilhabe.

Doris Enders: Zusätzlich ermutigen wir die Lehrkräfte, dass die Kinder für ihre ersten Präsentationsversuche in der Grundschule Themen wählen dürfen, die zum Sachunterricht passen und gleichzeitig Teil der Lebensrealität der Kinder sind – wie beispielsweise das eigene Lieblingstier. Wenn sie dazu recherchieren, passende Bilder für ihr Plakat sowie geeignete Worte finden, um ihr Lieblingstier der Klasse näher zu bringen, erhöht das insgesamt die Motivation der Kids vorne zu stehen und frei, selbstbewusst und mit Ausdruck zu sprechen.

"Mit Worten Bilder malen”, Alena du denkst dabei wahrscheinlich an den aus der Rhetorik stammenden Begriff „Enárgeia“ (die Fähigkeit anschaulich zu sprechen, Anm. der Red.). Wie förderst du diese Fähigkeit in deiner Arbeit mit Kindern konkret?

Alena Simon: Ich arbeite mit Übungen, die Kinder auf spielerische Weise zum genauen Beschreiben anregen. Eine meiner Lieblingsübungen ist „das geheime Bild“: Ein Kind beschreibt ein Bild, das die anderen nicht sehen können, so genau wie möglich. Die anderen versuchen, es nach der Beschreibung zu zeichnen. Danach wird verglichen: Was wurde verstanden, was nicht? So merken die Kinder unmittelbar, wie wichtig eine klare Struktur, treffende Wörter und Details sind, damit sich die Zuhörenden wirklich ein Bild machen können. Solche Erfahrungen wirken sehr motivierend, denn Kinder merken, dass Sprache „wirken“ kann. Und genau das ist Enárgeia: Sprache, die sichtbar macht.

Detailaufnahme von einem Poster, auf dem Bilder und Texte zum Lieblingstier Wolf zu sehen sind.
Zwei Mädchen zeigen stolz ihr Poster über den Wolf.

Doris, warum ist es gerade für Grundschulkinder so wichtig, dass sie an ihrer Ausdrucksfähigkeit feilen und lernen, Sprache bewusst einzusetzen?

Doris Enders: Neben vielen Aspekten, die Alena auch schon genannt hat, möchte ich den emotional-sozialen Aspekt des Sich-Verstanden-Fühlens noch einmal betonen. Nicht nur Kinder, auch wir Erwachsene erfahren Selbstwirksamkeit, wenn wir erleben, dass unsere Anliegen gehört und verstanden werden. Damit unser Gegenüber – die Eltern, die Mitschüler*innen, die Lehrkräfte und die Gesellschaft – uns verstehen kann, unseren Ideen und Bedürfnissen zuhören und diese wahrnehmen kann, brauchen wir eine gute Schulung unserer sprachlichen Kompetenz. Der Volksmund weiß seit jeher, dass “der Ton die Musik macht” und “Sprache Macht ist” und deshalb möchten wir mit unseren Übungen den Kindern ein Stück weit Ermächtigung (Empowerment) ermöglichen, damit sie sich mit ihrem Wissen und ihren Wünschen gehört fühlen und aktiv einbringen können.

Im Webinar habt ihr angesprochen, dass auch insbesondere Kinder mit Deutsch als Zweitsprache von gezielter Sprachförderung profitieren: Inwiefern zeigt sich dies bei Jugend präsentiert Kids?

Doris Enders: Die meisten Lehrkräfte erzählen, dass ihre Schüler*innen sehr heterogene Herkunftssprachen haben. In vielen Familien wird Deutsch nicht als Erstsprache gesprochen, sodass diese Kinder bereits mit einem zweisprachigen Wortschatz in die Grundschule kommen. Das birgt einen großen Vorteil im Vergleich zu Personen, die nur eine Sprache kennen. Diese Situation als grundsätzlich positiv und nicht als defizitär zu betrachten, ist ein wichtiger Schritt – einerseits für die Lernbereitschaft der Kids und andererseits für das Klassengefühl. Lehrkräfte können die vielen Sprachen der Kinder wertschätzen und erlauben, dass diese in Präsentationen mit einfließen können. Ein positives Grundgefühl gegenüber der eigenen Erstsprache in der Schule zu erhalten, motiviert die Kids erheblich beim Deutschlernen. Wir haben Rückmeldungen von Lehrkräften erhalten, die durch die Realisierung des Grundschulwettbewerbs von Jugend präsentiert Kids erleben konnten, wie sich nun Kinder auch nach vorne trauen und überzeugende Präsentationen halten, die sich das vorher nicht getraut haben. Nämlich jene, die vorher aufgrund ihrer teilweise fehlenden Deutschkenntnisse Hemmungen hatten, vor ihrer Klasse zu sprechen. Die deutschen Sprachkenntnisse müssen nicht perfekt sein, um eine gelungene Präsentation zu halten. Schließlich ist die inhaltliche Vorarbeit, die Plakatgestaltung und auch die Gestik und Mimik genauso wichtig bei einer Präsentation. Die Motivation, überhaupt vor der Klasse zu sprechen, ist bei selbst gestalteten, eigenständig erarbeiteten Präsentationen zu selbst gewählten Themen wesentlich höher als in anderen Unterrichtssettings, wie beispielsweise dem Vorlesen eines Buchtextes.

Wie können Lehrkräfte mit Mehrdeutigkeiten also, wenn Kinder Begriffe unterschiedlich verstehen oder nutzen umgehen und präzises Beschreiben fördern?

Doris Enders: Mir fällt dazu ein Zitat von Picasso ein: „Wenn es nur eine einzige    Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen.“ Darin liegt ein schönes, kreatives Potential. Außerdem fördert das gemeinsame Verständigen über Begriffe und Wort(be)deutungen in der Klasse nicht nur sprachliche, sondern auch soziale Kompetenzen.

Alena Simon: Mehrdeutigkeiten sind im Unterricht alltäglich und eigentlich eine tolle Lerngelegenheit. Wenn Kinder Begriffe unterschiedlich verwenden, lohnt es sich, kurz innezuhalten und gemeinsam zu klären, was genau gemeint ist. Nachfragen wie „Was stellst du dir darunter vor?“ oder „Meinst du eher X oder Y?“ helfen, Bedeutungen sichtbar zu machen und sprachlich zu präzisieren. So fördern Lehrkräfte nicht nur Sprachbewusstheit, sondern, wie Doris in ihrer Antwort auch betont, die Fähigkeit, sich gemeinsam über Begriffe zu verständigen und Missverständnisse zu vermeiden, was eine wichtige Grundlage für erfolgreiche Kommunikation und Präsentationen ist.

Ihr arbeitet im Grundschulprogramm mit Methoden wie dem „Scaffolding“– also dem Prinzip der sprachlichen Hilfen und Stützstrukturen. Alena, könntet du erläutern, was genau darunter zu verstehen ist?

Alena Simon: Beim Scaffolding werden Kinder sprachlich unterstützt, ohne dass ihnen die Aufgabe abgenommen wird. Lehrkräfte geben beispielsweise Satzanfänge, Formulierungshilfen oder gezielte Fragen in den Unterricht, um den Kindern dabei zu helfen, ihre Gedanken zu ordnen und sprachlich auszudrücken. Diese Stützstrukturen werden nach und nach abgebaut, sodass die Kinder immer selbstständiger sprechen und präsentieren können. Im Grunde ist Scaffolding wie ein Gerüst beim Hausbau: Es bietet Halt, bis das Gebäude stabil genug ist, um allein zu stehen.

Interessant! Und wie können Lehrkräfte das konkret im Klassenzimmer umsetzen?

Doris Enders: Ich habe ein ganz schönes Beispiel: Lehrkräfte aus unserem Grundschulnetzwerk haben solche Satzanfänge und Satzübergänge zu einem Papierfächer gestaltet, sodass sich die Kinder ganz haptisch verschiedene Impulse aus diesem „Fächer“ ziehen und in ihre Präsentation einbauen können.

Alena Simon: Ja so ist es, oft genügen schon kleine sprachliche Impulse oder Veränderungen im Unterrichtsalltag. Um die Plakatvorstellung zugänglicher zu machen, können Lehrkräfte vorab sprachliche Bausteine anbieten: „Mein Thema ist …“, „Besonders spannend finde ich …“, „Auf dem Bild sieht man …“. Schritt für Schritt lernen Kinder so, ihre Sprache bewusster, genauer und lebendiger einzusetzen.


Porträtbild einer lächelnden jungen Frau.

Zur Person: Alena Simon

Alena Simon ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Präsentationkompetenz der Universität Tübingen mit dem Schwerpunkt Grundschule. Sie ist verantwortlich für die Koordination und inhaltliche Konzeption der Materialien und Trainings von Jugend präsentiert Kids.



Porträtbild einer lächelnden blonden Frau.

Zur Person: Doris Enders

Doris Enders ist Projektmanagerin bei Jugend präsentiert Kids und verantwortlich für die Konzeption sowie Organisation des Grundschulwettbewerbs, die Kommunikation und Planung von Fortbildungen und die Etablierung des Grundschulnetzwerks.

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